Dieses seltene Helical Premier Herrenrad kaufte ich von einem Sammler aus Hessen. Der wiederum erwarb es in bereits restauriertem Zustand. Die Restau-rierung war aber so schlecht gemacht, dass er sie professionell wiederholte. Da- nach fuhr er das Premier über zehn Jahre lang, so dass es mittlerweile schon wieder eine sehr schöne Patina angesetzt hat, wie man am matten Nickel sehen kann.
Das Premier ist das einzige renovierte, also neu lackierte und vernickelte Fahrrad, das ich besitze. Ich kaufte es damals aber aus guten Gründen: Ich suchte ein altes, all- tagstaugliches Rad mit einem für mich ide- alen Rahmen; Helical-Räder sind extrem sel- ten; das Rad war vollständig und sofort nutz- bar, was aufgrund eines damals herrschen- den Zeitmangels wichtig war. Und ich muss sagen, ich habe es bis heute nicht eine Se- kunde lang bereut.
Bei diesem voll alltagstauglichen Fahrrad mache ich auch Abstriche in der Au- thentizität. So sind der bequeme Sattel aus meinem Fundus sowie die Klingel zwar von Premier, aber etwa 20 Jahre jünger als das Rad. Auch die Zweigang-Torpedonabe nebst Schalthebel ist nicht von 1910, aber wenigstens vernickelt. Die vordere Felge wurde im Zuge der Renovierung erneuert bzw. ergänzt, ge- nauso wie das vordere Schutzblech. Die vernickelten Gummiblock-Pedale da- tieren ebenfalls etwas jünger, auch wenn es damals natürlich formal sehr ähn- liche Pedale gab. Die Griffe habe ich montiert und mich für bequeme Nach- bauten mit Kork-Grifffläche entschieden.
Die seltene, aus der Zeit stammende Rahmentasche von Premier besorgte noch der Vorbesitzer.
Rahmen, Gabel und Felgen wurden wie ge- schrieben neu lackiert. Die schmalen Schutzbleche dagegen tragen noch den er- sten Lack, wobei das hintere, originale, stel- lenweise noch den silberfarbenen Schrift- zug 'Helical Premier' zeigt. Der Lenker ist ebenso original, mit seinem kräftigen, einen Zoll starken Schaft passt auch kein 'nor- maler' Lenker auf dieses Rad.
Die 5/8“ x 3/16“-Kette in Überlänge stammt aus einem lagerneuen Altbestand, die gros- sen 635er Westwoodfelgen sind mit optisch passenden hellen Reifen aus ak- tueller Produktion bestückt, damit man das Premier bedenkenlos fahren kann.
Das riesige Kettenblatt überträgt die Kraft auf ein ebensolches Antriebsritzel der Zweigang-Torpedo, womit sich eine starke Untersetzung des ersten Gangs er- gibt. Der zweite Gang ist somit der Normalgang, der erste ein echter Berggang. Es haben schon einige Mountainbiker etwas seltsam geschaut, als ich an steilen Anstiegen nicht absteigen musste.
Außer der Gabel und dem Lenkkopf beste- hen alle Rohre aus dem Premier-eigenen Helicalrohr, auch die gebogenen Sattel- und Kettenstreben. Das Rad ist wohl nicht viel leichter als ein vergleichbares ohne Helical-technik, dafür sollte es deutlich stabiler sein. Und in der Tat fährt sich das Premier mit immerhin 62 cm Rahmenhöhe auffal- lend ruhig, ohne irgendwie nervös oder wa- ckelig zu wirken. Dazu mag auch der sehr gestreckte Rahmen mit langem Oberrohr seinen Teil beitragen. Letzteres fällt leicht nach vorne hin ab. Für diese Zeit besaß das Premier einen sehr modernen Rahmenbau, der auch heutigen Sitzgewohnheiten entgegen kommt. Zu Helical-rohren können Sie hier ein wenig nachlesen.
Die Datierung des Helical Premier gelingt anhand der Rahmennummer und das Bau- jahr kann vorsichtig auf das Jahr 1909 oder 1910 festgelegt werden. Leider sind mir kei- ne entsprechenden Kataloge von Premier aus dieser Zeit bekannt, nur das prächtige Lenkkopfschild gibt Auskunft über die Mo- dellnummer 7.
Gebaut wurde dieses Premier im Werk Eger in Böhmen für den österreichischen und ost- europäischen Markt.
Die Räder aus Coventry sehen zu dieser Zeit völlig anders und 'very british' aus, wie das nebenstehende Blatt aus dem englischen Ka- talog von 1910 zeigt. Sie können sich zudem ein britisches Helical Nr. 7 aus dieser Zeit hier ansehen.
Auch die Helical aus dem Werk Nürnberg so- wie die amerikanischen Modelle lassen sich nicht nur durch die Lenkkopfschilder unter-scheiden, sondern sind in
ihrem Aussehen und ihren Eigenschaften jeweils spezifisch dem entsprechenden Markt angepasst. Ein durchwegs modernes unternehmerisches Konzept für damalige Zeiten.
Das Helical Premier ist eigentlich wie geschaffen für meine Statur und ich fahre es wirklich sehr gerne, wie man an dem Schmutz auf den Fotos sehen kann. Es lassen sich damit große Strecken schmerz- und krampffrei zurücklegen und die Zweigangschaltung ist bei Anstiegen ein echter Gewinn – vor allem wenn die schaltungslos radelnde Freundin neben einem herhechelt...
Update 04.2017
Da ich mittlerweile an ein altes Foto gekommen bin (danke Gerald!), das ein Helical No. 7 aus Eger zeigt und meine Recherchen bzgl. des Rads ebenfalls weiter gediehen sind, habe ich mein Helical etwas umgebaut.
Es liegt nun ein Wulstfelgen-Laufrad- satz bereit, in dem vorne die origi- nale Nabe mit 32 Löchern und hinten eine Torpedo aus dem Jahr 1909 eingespeicht sind.
Zum Fahren nutze ich aber weiterhin die oben erwähnte Zweigangnabe, nun allerdings ebenfalls in Wulstfelgen (diese mit Holzdekor) eingespeicht.
Den zu jungen Sattel habe ich gegen einen formal der Zeit entsprechenden von Wittkop getauscht. Die Blockpedale wichen Nachbauten von Flügelpedalen. Diese stammen aus Tschechien und sind wahrscheinlich sogar Originalen von Premier nachempfunden. Zumindest konnte ich auf dem historischen Foto eines alten Premier eben diese Pedale entdecken. Qualitativ sind die Nachbauten sehr gut gemacht, allerdings brauchen sie noch etwas Patina - wie auch das gesamte Premier. Aber die wird sich im Laufe der Jahre schon bilden.
Die alten Fotos habe ich gegen die mit dem aktuellen Zustand ausgetauscht - nun ohne den oben erwähnten Schmutz der Jahre...