Über Fahrräder aus deutscher Produktion könnte man natürlich Seiten über Seiten füllen, selbst wenn man allgemein bleibt. Zur Datierung schrieb ich hier ein paar Sätze. Ansonsten gibt es zumindest für die bekannten Marken jeweils Vereine oder Interessengemeinschaften, meist auch mit eigenen Internetseiten, auf denen der Stand der Forschungsergebnisse nachzulesen ist. Auch in diversen Internetforen finden sich Spezialisten für bestimmte Hersteller.
Ich nütze diesen Platz daher für einen kleinen Exkurs über eine Entwicklung im Fahrradbau, die dem Sammlern unter dem Begriff 'Ballon-Rad' geläufig ist. Da- zu muss ich diese einleitenden Sätze schreiben, auch wenn ich schon den Auf- schrei höre:
Fahrräder aus den 1930er Jahren waren ei- gentlich nie eines meiner Sammelgebiete. Das liegt einfach daran, dass mir diese Räder meist optisch schon nicht zusagen und in der Regel etwas hausbacken und lang- weilig-eintönig daher kommen, vor allem die Produkte aus Deutschland. Vorne Stempel-bremse, hinten Torpedonabe, dazwischen meist ein Einheitsrahmen in schwarzer Farb- gebung, oft nur durch das Lenkkopfschild unterscheidbar.
Ich möchte jetzt keinesfalls irgendwelchen Sammlern deutscher Fahrräder der 30er Jah- re zu nahe treten. Werten Sie daher diese Aussage einfach als das, was sie ist: die et- was einseitige Sichtweise eines frankophil angehauchten Fahrradliebhabers, der sich eben nicht ausreichend mit der Materie beschäftigt hat. Damit kann ich leben, und Sie hoffentlich auch. Und vielleicht werde ich mich ja eines Tages mit deutschen Fahrräder der 30er Jahre beschäftigen und mich dann für diese Sätze hier schämen.
Aber die Natur der Pauschalisierung ist es nun mal, dass sie nie völlig zutreffend sein kann; es im Übrigen auch nicht ernsthaft sein möchte. Und bevor man sie noch hingeschrieben hat, kommt schon ein Aber daher. Und eines dieser Aber sind die sog. Ballonräder.
Mein erstes Ballon-Fahrrad aus den 1930er Jahren bekam ich vor Jahren eher zufällig, als ich ein altes Rad für meine Freundin suchte. Für meine Statur fallen diese Art Fahrzeuge schon aufgrund ihrer Abmess- sungen in der Regel aus der engeren Wahl.
Ihr Fahrrad aber sollte bequem, auch auf schlechten Wegen ohne Schweißausbrüche zu fahren und zudem robust sein. Außerdem stellte ich gewisse Ansprüche an das Aus- sehen – was heißt ich, Sie. An Ballon oder Nicht-Ballon dachte ich da noch gar nicht, als ich das Rixe erwarb. Erst die wissenschaftliche Arbeit eines Sammlerkollegen aus München, dessen Be- geisterung den Ballon-Rädern der 1930ern gilt, veranlasste mich, diesen Fahr- radtyp etwas aufmerksamer zu betrachten.
Der Fahrrad- resp. Rahmenbau verharrte bis in die späten 1920er Jahre in einer gewissen Starre. Es ist teils sehr schwierig, einen Rahmen der 10er Jahre von einem aus den 20er Jahren zu unterscheiden, wenn man keine anderen Da- tierungskriterien wie Anbauteile o.ä. zur Verfügung hat. Das hat aber durch-aus auch positive Aspekte, sind doch nach meinem Geschmack gerade Damen-fahrräder dieser Zeit aus Deutschland – und das muss der Liebhaber fran- zösischer Drahtesel neidlos anerkennen – den ausländischen Kolleginnen ästhetisch deutlich überlegen. Es gibt in der Geschichte kaum elegantere Da- menräder als diejenigen aus deutscher Produktion der späten 1910er und 1920er Jahre.
Kurz vor 1930 betrat dann eine neue Protagonistin die Bühne, das 26“-Ballonrad. Über die optischen Qualitäten einer Dame – bleiben wir bei den Damenrädern –
lässt man sich grundsätzlich nicht negativ aus, allerhöchstens kann man sich seinen Teil – still – denken. Über die positiven Seiten allerdings darf durchaus geredet werden. Und von denen gab es
einige:
Waren die in den zwei Jahrzehnten vor 1930 vorgestellten Modelle irgendwie immer eine Variation von schon Dagewesenem, stellte das Ballonrad eine radikal neue Entwicklung dar. Möglich wurde das durch die Ver- wendung einer neuen Reifendimension, dem Ballonreifen – oder, wie ab den späteren 30er Jahren bezeichnet: dem 'Vollballon'-Drahtreifen mit seiner Dimension von 26“ x 2,00“ (die 28“-Varianten lasse ich hier außen vor, da sie außer der Reifenbreite eigentlich keine Auswirkungen auf das Fahrrad an sich hatten).
Diese Reifengröße ermöglichte es, einen darauf angepassten, modernen Fahrrad-rahmen zu entwickeln, der echte Vorteile bot: Langer Radstand mit breitem, be- quemen Einstieg (bei Damenrädern); kom- fortables, leichtes und sicheres Abrollverhalten der breiten und niedrigen Drahtreifen auf schlechten Straßen, Kopfsteinpflaster und unbefestigten Wegen aufgrund des geringen benötigten Luftdrucks. Fünfzig Jahre später sollte dieses Prinzip bei Mountainbikes wieder neu 'erfunden' werden.
Auf dem Foto oben sehen Sie ein 28“ MIELE Damenrad von 1927 mit 55 cm- Rahmen (unten) und ein 26“ Ballon-Chromrad der Firma RIXE von 1935, ebenfalls 55 cm (oben). Es fällt sofort der doch sehr unterschiedliche Rahmen- bau auf, der auch das Aussehen des gesamten Fahrrads stark beeinflusst. Das MIELE ist noch dem typischen Rahmenbau der 10er/20er Jahre verhaftet, währ- end das RIXE zu seiner Zeit das Modernste war, was der Händler anzubieten hat- te. Man darf bei den Ballon-Fahrrädern bewusst von einer Revolution im Fahr- radbau sprechen, die durch die Einführung der neuen Reifendimension ermög- licht wurde und in diesem Vergleich augenscheinlich wird.
Da der Mensch sich aber, gerade was me- chanische Fortbewegungsmittel betrifft, nicht nur von technischen Fakten leiten lässt, sondern auch der Besitzerstolz und vor allem die Repräsentationsfähigkeit der Technik vom Hersteller im wahrsten Sinne des Wortes im Auge behalten werden müs- sen, kam es am Ende zu den heute unter Sammlern begehrten 'Vollchrom-Ballon-Fahrrädern' als der Spitze des damals denk- baren Luxus, der sich selbstverständlich auch in der Preisgestaltung niederschlug. Und da ich gerade den Ausdruck 'am Ende' gebrauchte: Diese Entwicklung hätte durchaus lange Zeit so weitergehen können, wenn, ja wenn nicht die eigentliche Pointe meist am Ende kommt... Und in diesem Fall ist sie keineswegs lustig, allerhöchstens ein böses, wenn auch bemerkenswertes Spiel der Geschichte.
Den Super-Luxus-Rädern wurde im Deutsch- land der Nationalsozialisten politisch der Garaus gemacht. Einerseits war die ab der Mitte der 1930er Jahre forcierte Kriegs-wirtschaft der erklärte Feind des 'degener-ierten Luxus', wenn dadurch wertvolle Roh- stoffe verbraucht wurden; andererseits pas- ste der bourgeoise Anstrich dieser Gefährte nicht in die Ideologie der Nationalsozi-alisten, die eher die bezopfte, bescheiden auftretende, kinderreiche blonde Maid als Ideal der Deutschen Frau sah. So kam es, dass die Luxusräder auf Ballonreifen nach und nach politisch demontiert wur- den, indem sowohl die Verchromung als auch die Verwendung von Kautschuk von Staatsseite reglementiert und eingeschränkt wurde. Zu eben diesem span- nenden Kapitel der deutschen Fahrradgeschichte hat ein Sammlerkollege zahl- reiche Quellen ausgewertet und sie in einem sehr lesenswerten Artikel zu- sammengefasst, den ich Ihnen auf dieser Seite zum Download anbieten darf. Vielen Dank dafür, Alex.
Meine Freundin besitzt zwei von mir restaurierte, fahrbare Vollchrom-Ballon-räder. Ein WANDERER von 1934 und ein RIXE von 1935. Beides seltene Ver- treterinnen ihrer Gattung und beide auch nach achtzig Jahren noch voll all- tagstaugliche, bequeme und sichere Fahrräder – auch wenn natürlich an der einen oder anderen Stelle die Zeit nicht spurlos an den beiden Damen vorüber-gegangen ist.
Weiterführende Literatur:
Breiholz, Dirk, Das Ballonrad und seine Entwicklung bis 1930. In: Der Knochenschüttler 23/3 (2001), 2-7.
Dobuschinsky, Alexander, Das Fahrrad im Schatten von Hitlers Vierjahresplan. Manu- skript, München (o.J.).