Erworben habe ich das Damenrad vor über vier Jahren und wollte es meiner allerliebs- ten Lebensgefährtin 'mal schnell' zum Fah- ren herrichten. Aber wie das leider oft so ist, kamen immer andere Projekte in die Quere und das Chrom-Rixe wurde in der Werkstatt von einer Ecke in die andere geschoben, landete vorübergehend sogar im Heizungs- raum und stand eigentlich immer irgendwie im Weg. Trotz allem vermied ich es die gan- zen Jahre, das Rad wieder zu veräußern. Nun endlich nahm ich mir die Zeit es kom- plett zu zerlegen und zu restaurieren. Die fehlenden Teile hatte ich mittlerweile soweit zusammen gesucht, denn es gibt nichts Är- gerlicheres, als wenn man eine begonnene Arbeit aufgrund fehlender Teile unterbre- chen muss.
Bei dem Rixe handelt es sich um ein sehr seltenes 26 Zoll-Ballonrad in vollem Chromornat; eines dieser Fahrräder, die dem nationalsozialistischen Regime ein Dorn im Auge waren und die man im Verlauf der 1930er Jahre durch allerlei Verbote vom Markt verbannte. Dazu können Sie hier einige Sätze nachlesen.
Das Fahrrad befand sich zum Zeitpunkt meines Kaufs tatsächlich noch annähernd im Auslieferungszustand. Bis auf die Lenker-griffe und die Pedale aus den 1960/80er Jah- ren sowie dem fehlenden Kettenschutz prä- sentierte es sich so wie beim Neukauf Mitte der 30er Jahre.
Der technische Zustand des Rixe stellte sich als durchwegs sehr gut heraus, der optische dagegen als sehr heterogen.
Der Lack befindet sich für ein Fahrrad dieses Alters in einer wirklich guten Ver- fassung, es finden sich kaum Roststellen und die weiß-blaue Linierung sowie die Aufkleber sind schön erhalten. Anders zeigt sich die üppige Verchromung an Muffen, Gabelenden, Blechen und Felgen teilweise stark angegriffen bis de facto nicht mehr vorhanden (Felgen). Dieses Schadensbild kann man leider bei vielen verchromten Rädern der 1930er Jahre beobachten. Anders als Nickel wird Chrom sehr schnell und gründlich vom Rost unterwandert und löst sich dann wie dünnes Papier in großen Stücken vom Trägermaterial. Speziell, wenn der Chrom ohne vorherige Vernickelung der Bauteile aufgebracht wurde und die Lagerung entsprechend schlecht war, tritt dieses Schadensbild fast zwangsläufig ein. Keine schöne Sache zum Restaurieren, denn abblätternder Chrom lässt sich kaum stabilisieren und die Oberflächen sehen zudem meist ziemlich besch...- eiden aus, wenn sich helle Chrom- mit dunklen Roststellen abwechseln. Eigentlich hilft nur eine Neuverchromung, aber diese passt dann wiederum nicht zum patinierten Zustand des restlichen Rades. Ein Dilemma. Gelöst habe ich es vorerst mit der Stabilisierung des Ist-Zustands und einer leichten optischen Ka- schierung. So ist das Rad zumindest fahrbar und wetterfest, ohne sich weiter sei- nes glänzenden Überzugs zu entledigen. Für die Zukunft suche ich nach pas- senden gebrauchten Chromfelgen mit blauem Mittelstrich, was aber natürlich Geduld erfordert.
Interessant ist das verbaute Patronen-Tret- lager von Rixe, das ich in dieser Form bei Tourenrädern noch nicht kannte. Die Patro- ne wird mittels zweier Klemmbolzen in der Muffe gehalten und ist völlig gekapselt. Löst man die Klemmbolzen und die linke Kurbel, kann man die komplette Lagerpatrone her- ausziehen. Für eine grundlegende Wartung des Lagers muss auch die Kurbel bzw. das Kettenblatt der rechten Seite demontiert werden, was allerdings kein Problem dar- stellt. Zum Ein- bzw. Nachstellen des Tret- lagers muss dagegen die Kurbel nicht wie üblich gelöst werden, sondern kann an Ort und Stelle verbleiben, da das Lager auf der linken Seite keine Glocke aufweist. Das Lockern der Klemmbolzen und das Lösen der Konterung genügen, um das Lager nachzustellen. Sehr praktisch!
Im Hinterrad kommt eine mit 35 datierte Komet-Nabe von Fichtel & Sachs mit den be- kannten innenliegenden Bremsscheiben zum Einsatz, vorne ist eine F & S-Nabe von 1934 verbaut. Das Ritzel stammt noch von 1935 – auch ein Zeichen der wenig intensiven Nutz- ung in den letzten 80 Jahren. Es muss aber demnächst gewechselt werden.
Der Rahmen ist von ausgesprochen gedie- gener Qualität. Sehr starke Rohre und eine saubere Verlötung der kräftigen Außenmuffen lassen ein Gefühl von großer So- lidität aufkommen. Die aufwändige, zweifarbige Kastenlinierung und der eben- falls zweifarbige Strahlenkopf lassen das Rad sehr edel wirken. Die Lackqualität erscheint hervorragend, betrachtet man die Erhaltung.
Recht viel mehr an Chrom und farblicher Verzierung ging wirklich nicht mehr und das Chrom-Rixe lässt das im Katalog abgebildete 'Luxus-Damenrad' noch deutlich hinter sich, was den optischen Aufputz betrifft. Selbst die verchromten Schutzbleche sind innen zusätzlich in blauer Farbe lackiert!
Mir liegt ein Katalogblatt de Firma Rixe von 1935 vor, das ein Luxus-Damenrad zeigt und beschreibt. Dort wird ausdrücklich der Len- ker von Coppel (fälschlicherweise im Kata- log 'Koppel' geschrieben – Pisa war auch damals nicht weiter entfernt als heute), Pedale, Kette und Speichen von Wipper- mann oder Union sowie ein verchromter Kettenkasten erwähnt. Daher besorgte ich entsprechende Damen-Gummiklotzpedale von Wippermann, eine Wippermann-Kette und einen verchromten Kettenkasten. Letz- terer ein österreichisches Produkt der Firma Assmann, aber formal dem origi- nalen Blech entsprechend.
Der beim Erwerb verbaute Sattel der Firma Nagel war höchstwahrscheinlich original, al- lerdings unbrauchbar und auch nicht repa- rabel. Eine zeitgerechter Elastic-Sattel und eine Werkzeugtasche von Veleda verrichten nun Dienst auf dem Rixe. Und da Frauen nicht nur bei Sätteln äußerst wählerisch sind ("...der hat eine Quernaht und drückt..."), sondern ihr Fahrrad auch genau dort ab- stellen möchten wo sie gerade anhalten, und nicht erst einen Baum oder eine Hauswand suchen wollen, habe ich noch einen Ständer der Marke 'Kirchhoff' montiert. Dieser erlaubt sogar das Abstellen des Fahrrads auf einer schiefen Ebene, da er sich durch seine pa- tentierte Konstruktion dem Untergrund an- passt und somit das Fahrrad immer gerade steht. Das funktioniert wirklich sehr gut.
Abgerundet wird die Ausstattung durch einen recht seltenen Kilometerzähler von 'Regis' sowie eine verchromte Lichtanlage der Lohmann-Werke in Bielefeld (Dynamo und Scheinwerfer) bzw. Wissner (Domlinsenreflektor). Die Klingel stammt von Rixe, ist sicher ein Vorkriegs-produkt, aber wahrscheinlich aus den späteren 1930er Jahren, wie die erst ab diesem Zeitpunkt verwendete Schreibschrift vermuten lässt.
Das verbaute Rocknetz ist ein modernes Produkt, weil die wirklich alten Seiden- netze bei häufigem Transport des Rades im Auto in der Regel kein allzu langes Leben haben. Und das Rixe soll doch häufig(er) für kleine Ausfahrten dienen. Auch bei der Bereifung wurde auf neues Material zurückgegriffen, in diesem Fall 26“ x 2,00“ in altem Blockprofil.
Das Rixe-Ballonrad fährt sich wirklich kom- fortabel und sicher, speziell auf unbefes-tigten Wegen. Die Sitzposition ist im Gegen- satz zu den alten Rahmenformen eher mit modernen Fahrrädern zu vergleichen und mit dem breiten Lenker in Neudeutscher- oder NSU-Form hat man das Geschehen jederzeit im Griff. Eine Gegenüberstellung der Rahmen finden Sie hier.
Nun bleibt nur noch das abschließende kri- tische Urteil der Fahrerin abzuwarten. Mit ihrem Wanderer Vollchrom-Ballonrad ist sie zumindest zufrieden (bis auf die bemängelte Quernaht im originalen Sat- tel), daher kann es so schlimm nicht ausfallen...