A. Morets Werkstatt stand in Auxerre, der kleinen Provinzhauptstadt des De- partements Yonne in Burgund. Heute zählt Auxerre ca. 36T Einwohner, um 1907 um 21T. Moret produzierte für den lokalen Markt und relativ gesehen sicher nur wenige Räder. Bei meinen Recherchen gelang es mir auf alle Fälle noch nicht, ein zweites Moret-Fahrrad zu finden.
Moret kaufte sicher keine kompletten Fahr- räder im Großhandel, sondern verwendete einen Bausatz. Dafür sprechen einige In- dizien wie die Nummerierung und Ausstat- tung (dazu weiter unten). Zudem entschied er sich für einen recht seltenen Bausatz des amerikanischen Herstellers U.S.A. Räder aus Teilen des Marktführers B.S.A. gibt es dagegen etwas häufiger. Den U.S.A.-SPRING-Bausatz sah ich das erste Mal in natura und erinnerte mich sofort an die außerge-wöhnliche Gabelkonstruktion. Zum Glück fand ich auch das entsprechende Katalog- blatt wieder.
Das Rad befindet sich m. E. weitestgehend im Auslieferungszustand und wurde nicht neu aufgebaut. Dafür sprechen viele Indizi- en, die ich hier nicht alle aufführen kann. Zu- dem bekommt man mit der Zeit ein Gefühl dafür, was original und was rekon-struiert ist.
A. Moret verwendete wie geschrieben den Bausatz von U.S.A. (Ausführung SPRING Luxe) Er komplettierte das Rad - auf Kun- denwunsch oder aufgrund seines Teile-lagers - mit damals gängigen Holzfelgen von KUNDTZ (USA-F) in der heute sehr sel- tenen Größe von 700A (ETRTO 642); einer Bremsnabe von VOLO, einer Firma aus Buffalo N.Y. (heute ebenfalls sehr selten); einer Vorderradnabe und Pedalen von AUTOMOTO (damals frei erwerbbare Tei- le des großen französischen Herstellers von Fahrrädern); einer Kette von BRAMPTON (Modell Columbia) sowie einem Lenker von J.S., einem fran- zösischer Hersteller von Fahrradteilen.
Fehlteile sind eigentlich nur das linke Pedal, das möglicherweise nach einem Missgeschick in den 1910er Jahren gegen ein anderes getauscht wurde, wobei man die leicht verwundene Kurbel beließ, und der Sattel (es war ein Brooks Competition aus den 50ern montiert). Den Brooks habe ich gegen einen pas- senden Polstersattel amerikanischer Bauart gewechselt, wie er damals durchaus gängig war. Die zeitgemäße Celluloidpumpe sowie die Rahmentasche stammen aus meinem Teile-Fundus.
Der Lack zeigt sich stellenweise alt ausge-bessert und weist etliche Fehlstellen auf. Diesen Zustand habe ich belassen und kon-
serviert.
Der Rahmen besitzt eine Höhe von 62 cm. Durch die großen Laufräder und die allge- mein schlanke Erscheinung wirkt das aller- dings optisch nicht so hoch. Die
Geometrie ist die eines leichten Sport-Tourenrades, heute würde man wohl Halbrenner dazu sa- gen. Der Lenker ist ein sogenannter Wende-lenker ('Reversible'), den man problemlos durch das
Abschrauben eines Griffes und das Lösen der Klemmschraube von einem Sport- in einen Tourenlenker verwandeln kann.
Wie auf den Fotos abgebildet wiegt das Fahrrad ca. 13 kg. Würde man die Speichen- spannung korrigieren, wäre das Rad wahr- scheinlich sofort fahrbar, da die
alten Holzfelgen mit Aluminiumeinlage erstaun-licherweise noch relativ robust erscheinen.
Die sicher von Moret eingeschlagene Rahmennummer 594 findet sich auf der Gabel und - kurioserweise auf dem Kopf stehend - an der oberen Lenkkopf-muffe.
Wahrscheinlich wurde sie dort vor dem Zusammenbau auf einem Form- eisen eingeschlagen, um die Muffe nicht zu deformieren.
Die Datierung des Fahrrads gelingt neben den Katalogblättern für den Bausatz vor allem durch die verwendeten Anbauteile, wie das Pedal und die Vorder-radnabe
von Automoto, die Volo-Bremsnabe und den Lenker einigermaßen und kann daher mit 1905-1907 angegeben werden.
Insgesamt ein spannendes Stück Geschichte aus der ersten Hochblüte des Indi- vidualverkehrsmittels Fahrrad.