Ein paar allgemeine Sätze zum Modell 'E Route' von Peugeot habe ich hier ge- schrieben.
Das Fahrrad kaufte ich 2010 von einem Sammlerkollegen aus der schönen Steiermark in Österreich. Es befand sich dabei im Fundzustand, sozusagen "aus der Scheune". Laut Rahmennummer stammt es aus der Produktionszeit von 1916-1918. Tipps zur Datierung können Sie hier nachlesen.
Da sich dieses Fahrrad gut dazu eignet, exemplarisch mein Vorgehen bei einer Restaurierung darzulegen, stelle ich meine Überlegungen und den Werdegang an dieser Stelle vor.
Eine erste Bestandsaufnahme ergab folgendes Bild:
Rahmen, Gabel, Tretlager, Pedale, Felgen, vordere Peugeot-Radialnabe mit verlöteten DD-Speichen, Sattel inkl. Sattelstange, Lenker, Kotschüt- zer aus Buchenholz und selbst die originale Peugeot-Rahmentasche entsprechen dem Auslieferungszu-stand. Auch die montierte Pumpe aus Celluloid passt in die späten 1910er Jahre.
Die beiden Felgenbremsen nebst Bremshebeln der Firma Bowden (Mo- dell 'Touriste') sollten laut Katalogen aus der 1. Hälfte der 1920er Jahre stammen. Ebenso die hintere, ver- nickelte Rennnabe (inkl. Speichen).
Als Fehlteile wurden nur ein Lenker- griff aus Büffelhorn (damals Serie beim Modell E Route mit Touren-lenker) und der Klingeldeckel ver- merkt.
Vorne war ein modernerer schwarzer Reifen montiert, hinten ein grauer aus den 1920er Jahren - beide defekt und nicht mehr fahrbar.
Insgesamt darf man also von einem weitgehend kompletten Auslieferungs-zustand sprechen.
Der technische Zustand war durch-schnittlich. Natürlich ließen sich die Bremsen nicht mehr betätigen (Züge und Zangen eingerostet); die Brems-beläge fühlten sich versteinert an, ebenso wie die Reifen; das Tretlager wies Spiel auf; die wahrscheinlich originale Peugeot-Kette hatte mehr- ere Reparaturen hinter sich und war zudem gelängt; der Sattel von Lam- plugh Paris zeigte einen Riss im Le- der und war so nicht mehr fahrbar; das hintere Schutz'blech' aus Buchenholz war abgebrochen und beide Schützer etwas verzogen. Zudem bewegte sich das Lenkkopflager hakelig.
Optisch hatte der Rost kräftig genagt und von der Nickelbeschichtung wenig übrig gelassen. Auch der Lack weist viele Fehlstellen auf. Erstaunlicherweise ist der goldgelbe Peugeot-Schriftzug noch relativ gut erhalten.
Alles in allem ein recht komplettes Fahrrad in einem akzeptablen technischen Zustand. Auch beim optischen Zustand hatte ich schon deutlich Schlimmeres. Immerhin ist das Peugeot bereits einhundert Jahre alt! So gesehen ein ideales Objekt für eine Restaurierung, die auch Anfänger bewältigen könnten, weil eine aufwändige und teure Teilebeschaffung weitgehend entfällt.
Da die Grundvoraussetzungen gegeben waren - beide Laufräder sind stabil, die Speichen haben mehr als ausreichend Spannung (vorne original und verlötet) und waren nur oberflächlich vom Rost be- fallen, ebenso laufen sie rund (vorne perfekt, hin- ten ok); der Rahmen weist bis auf eine leichte, technisch unbedenkliche Deformierung der rechten Kettenstrebe keine Beschädigungen auf; es finden sich nirgends Durchrostungen, nur oberflächlicher Rost - entschloss ich mich, das Peugeot in einen fahrbaren Zustand zu versetzen, ohne allzu sehr in die Originalsubstanz einzugreifen.
Auf einen Rückbau der Bremsen und der Nabe verzichtete ich, da man bei Peugeots aufgrund der ellenlangen Ausstattungsliste sowieso nie weiß, wie ein Fahrrad bei Auslieferung genau ausgesehen hat. Und als besonders störend empfinde ich die Teile nicht.
Wären beispielsweise Bremsen oder Naben aus den 1960er Jahren verbaut gewesen, hätte ich mich anders ent- schieden. Man sieht, es ist nicht immer einfach eine gewisse Philosophie durchzuhalten...
Zuerst wurde das Modell E bis auf die letzte Schraube zerlegt. Dabei musste ich zwei für die üblicherweise hohe Peugeot-Qualität sehr ungewöhnliche Dinge feststellen:
1. Die durch verharztes Fett festgebackene linke Lagerschale des Tretlagers ließ sich nicht herausschrauben, weil der Guss des Sechskants so flau ausgeführt war, dass der Schlüssel (SW 24) keinen Halt fand. Auch eine entsprechende Nuss ließ sich nicht verwenden, weil der Sechskant zudem nicht maßhaltig war. Ich musste ihn im montierten Zustand nachbearbeiten, um die Schale letztendlich (mit entsprechender Gewalt) entfernen zu können.
2. Die in den Lenkkopf eingeschla- gene obere Lagerschale saß leicht schief, was ich mir zuerst nicht er- klären konnte. Sie ließ sich auch nicht weiter einschlagen, so dass ich die Schale austreiben musste, um dann festzustellen, dass die Stelle, an der die Oberrohrmuffe sitzt, nicht nachbearbeitet worden war, so dass die Lagerschale an dem nach innen stehenden Rand der Innenmuffe an-stand. Daher hakelte auch das Lenk-kopflager etwas. Dass es überhaupt funktionierte, war ein Wunder. Das ist kein Fehler, der irgendwann im Laufe der Nutzung auftritt, diese Schlampigkeit wurde bereits im Werk begangen!
Ich kann mir beide Fehler nur dadurch erklären, dass die Fahrradproduktion während des 1. Weltkriegs gegenüber der Munitionsproduktion bei Peugeot evtl. von weniger geschultem Personal betrieben wurde und es dadurch zu solchen Qualitätsschwankungen kam. Allgemein hatte ich bereits an anderen Fahr- rädern dieser Produktionszeit eine gegenüber älteren Rädern schlechtere Qua- lität der Oberflächen festgestellt, speziell der Nickelbeschichtung. Auch kommen ab und zu leicht schief eingelötete Sattelstreben-Stege vor. Allerdings hatte ich noch keine so gravierenden technischen Mängel bemerkt.
Wie dem auch sei, die beiden 'Bugs' wurden nach immerhin einhundert Jahren doch noch behoben.
Die lackierten Teile des Rahmens und der Felgen wurden gesäubert, der lose Rost entfernt. Danach die rostigen Stellen stabilisiert und mittels pigmen-tiertem Wachs optisch angepasst.
Die ursprünglich vernickelten Blank- teile entrostete ich nur und konser-vierte den Zustand.
Sämtliche Lager wurden gereinigt und bekamen eine frische Fettfüllung.
Schadhafte Teile und/oder Pitting (an- gegriffene, eingelaufene, rauhe Lauf- flächen) gibt es in Peugeot-Lagern auch bei Schmierstoffmangel sehr selten, da sie extrem gehärtet sind. Allerhöchstens muss man einige ab- genutzte oder - selten - gebrochene Kugeln wechseln (Regel dabei: ent- weder alle Kugeln einer Seite tau- schen, oder keine. Außer man findet eine mit einem auf den Zehntel Milli- meter identischen Durchmesser!).
Bremsen, Freilaufritzel sowie andere beweglichen Teile wurden gängig ge- macht und geschmiert. Ich konnte dadurch sogar den vorderen Bremszug wei- terhin verwenden.
Die (wahrscheinlich) originale Peu- geot-Kette war nicht zu retten - zu- mindest nicht zum Fahren - und musste ersetzt werden. Den Sattel werde ich reparieren, solang kommt ein baugleicher der Firma Indian, Paris zum Einsatz. Der stammt zwar aus alter Produktion, ist aber unbe- nutzt (New Old Stock).
Der fehlende Griff wurde durch ein intaktes Altteil ersetzt ebenso wie auch die Klingel. Die sehr angegriffene Peugeot-Werkzeugtasche wird auch repariert werden, was aber Zeit kostet (Nähen ist nicht meine Lieblings-beschäftigung). Derweil wird sie durch eine formal ähnliche Tasche vertreten.
Die beiden Holzschützer habe ich wiederverwendet und nicht ersetzt. Den Hinteren musste ich aufgrund der Bruchstelle kürzen und beide mittels Wasserdampf wieder in Form bring- en. Ursprünglich waren Holzschützer lackiert, so auch diese. Geringe Reste des Lacks fanden sich auf den Unterseiten. Ich habe aber auf eine neuerliche Lackierung aus zwei Gründen verzichtet:
Erstens ist der Dekor mit einem von zwei feinen Linien begleiteten brei- ten Mittelstrich nur noch partiell er- halten, so dass eine flächige Lack- ierung seltsam aussehen würde; zweitens war ich mir nicht sicher, wie ein neuer Lack sich mit den Resten des alten chemisch vertragen würde. Daher wurden die Hölzer nur ge- reinigt und mit einem Ölwachs be- handelt, um sie für Regenfahrten feuchtigkeitsresistent zu machen.
Bei den Reifen habe ich mich für eine moderne Produktion entschieden, die - optisch etwas angepasst - sogar pannensicher sind und am ehesten an die alten grauen Reifen erinnern.
Der zeitgerechte Laternenhalter an der Gabel stammt aus meinem Teileregal, ebenso die Steuermarke von 1921 und die Besitzerplakette - beides Vorschrift in Frankreich.
Das Peugeot E Route fährt sich nach der Überholung wirklich gut und ist durch seine kurze Übersetzung nicht nur in der Ebene zu gebrauchen. So- zusagen ein Sport-Tourer für gebir- gige Gegenden. Dabei hat es trotz Restaurierung nichts von seiner Pati- na verloren.
Die roten Bremsbeläge, geschnitten aus einem Meterstück eines alten Lagerbestands, sind zwar nicht mehr ganz weich, bremsen aber trotzdem einigermaßen, wenn es nicht zu steil bergab geht.
Wirklich angenehm ist auch das Ge- wicht: gemessene 12,2 kg in der ge- zeigten Ausstattung. Das ist für ein einhundert Jahre altes Rad mit einer Rahmenhöhe von 57 cm durchaus als sehr leicht zu bezeichnen und unter-streicht auch das sportliche Image, das ein Modell E Route damals genoss. Dabei ist dieses Modell trotz des fili- granen Rahmens durchaus fahrstabil und keinesfalls wackelig.